1. Community Music Salon

Musik von und mit geflohenen Menschen war das Thema des 1. Community Music Salons, veranstaltet von der Abteilung Kulturelle Bildung des Kulturreferats München am 20. Oktober 2016 und geleitet von Doris Kohlenberger (Refugio Kunstwerkstatt / ICOYA). 20 TeilnehmerInnen fanden sich ein, um Erfahrungen auszutauschen, zu diskutieren, Leute kennen zulernen und Anregungen für bestehende und neue Projekte zu gewinnen.

Folgende Themen kamen zur Sprache:

Wie ist die gegenwärtige Lage geflohener Menschen in Deutschland? (Präsentation)
Doris Kohlenberger gab einen kurzen Überblick der aktuellen Lage geflohener Menschen in Deutschland, insbesondere Zahlen geflohener Menschen, die weltweite Verteilung der Geflohenen, Hauptherkunfts- und Aufnahmeländer, und Asylantragszahlen in Deutschland.

Warum fliehen Menschen? (Gruppenarbeit)
Um sich in die Situation geflohener Menschen einzufühlen, erörterte die Gruppe, aus welchen Gründen Menschen ihre Heimat verlassen und die Reise in eine unsichere Zukunft antreten. Auf der einen Seite sind Umstände, wie unter anderen Krieg, politische Verfolgung, Gewalt, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und soziale Diskriminierung Antrieb das Heimatland zu verlassen, auf der anderen die Hoffnung auf ein besseres Leben im Zielland, das Sicherheit, Freiheit, Arbeit und besseres Einkommen bieten kann. Zusammengefasst, ist die Entscheidung, die Heimat zu verlassen und sich auf unsicherem Weg in ein neues Land zu begeben ein großer Schritt, den niemand leichtfertig geht.

Spezifische Fluchtgründe in verschiedenen Ländern:
Syrien: Krieg, Bürgerkrieg.
Afghanistan / Irak: Nachkriegssituation mit weiterer politischer Instabilität, Verfolgung bestimmter Gruppen.
Nigeria: Verfolgung bestimmter ethnische oder religiöse Gruppen.
Somalia / Libyen: Länder ohne staatliche Ordnung, zerfallenden Strukturen, Machtkämpfen zwischen verschiedenen Gruppen, Chaos, mangelnde Versorgung

Zusätzliche Gründe können bei unbegleiteten Minderjährigen eine Rolle spielen:
Verlust der Eltern.
Fehlende/mangelhafte Schul- /Ausbildung.
Angst vor Genitalverstümmelung.
Angst vor Zwangsheirat.
Sexueller Missbrauch, Zwangsprostitution.
Sklaverei, Kinderarbeit.
Wehrdienstverweigerung.
Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten.

Was empfinden geflohene Menschen? (Gruppenarbeit)
Bei dieser Gruppenarbeit wurde eine Teilnehmerin gebeten, die Rolle eines jungen geflohenen Mädchens, das gerade in Deutschland angekommen ist, zu spielen. Jede/r aus der Gruppe wurde eingeladen, in Stichworten die Empfindungen des Mädchens zu beschreiben. Bei jedem Stichwort wurde die das Mädchen darstellende Teilnehmerin gebeten, zu zeigen, in welchem Körperteil, sie die Empfindung spüre. Der/diejenige, die/der das Stichwort geliefert hatte, sollte nun seine / ihre Hand an die entsprechende Stelle legen, sodass nach wenigen Runden, das Mädchen für alle ersichtlich und sie selbst spürbar mit Emotionen belastet war.

Belastungen im Alltag Geflohener:

  • Belastende Wohnbedingungen
  • Neue Sprache
  • Neue Kultur
  • Neue Normen/Regeln
  • Keine sichere Zukunftsperspektive
  • Erfahrung mit Rassismus
  • Kaum Zugang zu Hilfsangeboten/Gesundheitsversorgung
  • Druck aus dem Heimatland (von Familie), z.B. wegen Schulden
  • Angst um die Familie im Heimatland

Sinn und Zweck der Übung war es, zu verstehen, in welchen Umständen sich die Menschen befinden, mit denen man Musikprojekte durchführen will. Erwartungen der Projektausführenden sollten dementsprechend angepasst werden, um Enttäuschungen und Frustration zu vermeiden. Gerade wenn das Gefühl entsteht, dass Freude, Dankbarkeit oder Kooperation ausbleiben, sollte man sich an die Rahmenbedingungen geflohener Menschen erinnern.

DISKUSSION

Was für eine Rolle können Musik und Musikprojekte spielen?
Im Anschluß an die Gruppenarbeit wurde die Diskussion durch den Beitrag eines Teilnehmers eröffnet, dass Musik gerade in schwierigen Umständen einen Raum der Zuflucht und der Hoffnung bieten kann. Ausserdem erzählten Projektausführende von ihren Erfahrungen, dass sich viele Geflohene hoffnungsfroh zeigen, in Deutschland ein neues Leben beginnen zu können.

Musik kann auch ein Stück Heimat bedeuten, wenn Leuten die Möglichkeit gegeben wird, die Musik ihrer Heimat zu spielen, wie ein Teilnehmer berichtete. Doch gleichzeitig kann Musik Konfliktpotential bergen, wenn in einer heterogenen Gruppe, nur einige wenige bestimmen, welche Musik gespielt wird.

Ein weiterer Diskussionspunkt war das Argument, dass Musik nicht als Erziehungsprogramm verwendet werden solle, um “Anderen” eine bestimmte Musik oder Kultur näher zu bringen. Community Music könne nicht zum Zweck haben, andere von einer bestimmten Musikrichtung zu überzeugen, sondern es sollte letztlich den Teilnehmern überlassen sein, Musikstil und -richtung vorzugeben.

Ein damit verbundenes Prinzip ist die freiwillige Partizipation eines jeden. Jeder muss selbst bestimmen können, wie lange und mit welcher Kapazität an einem Projekt teilnimmt. Das gilt vor allem für längerfristige Projekte.

Wessen Ziele und Intentionen werden verfolgt?
Schlußendlich führte die Diskussion auf die Schlüsselfrage, wessen Ziele und Intentionen mit den jeweiligen Projekten verfolgt werden. Einige Teilnehmer sprachen sich vehement gegen Projekte aus, die auf den “Flüchtlingswagen” aufspringen, weil hier gerade viel Geld abzugreifen ist. Ein Projekt sollte sich letztlich am Bedarf der Zielgruppe ausrichten und soviel als möglich von den TeilnehmerInnen selbstbestimmt ablaufen. Um dieses zu erreichen, sollte die Zielgruppe idealerweise schon in der Planungsphase mit einbezogen werden. Immer wieder wurde kritisch geäußert, dass sich Institutionen, die keine Erfahrung mit geflohenen Menschen aufweisen, nun plötzlich “Flüchtlingsprojekte” anbieten, ohne sich der Verantwortung den Ausführenden und TeilnehmerInnen gegenüber bewußt zu sein.

Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass das Label “Flüchtling” eigentlich aus dem Wortgebrauch verschwinden sollte. Die Bezeichnung reduziert eine Gruppe Menschen nicht nur auf eine bestimmte Kategorie, sondern in der Endung “-ling” schwingt eine abwertende Bedeutung mit. Ein Teilnehmer berichtete, dass vor allem Jugendliche einfach nur Jugendliche sein und nicht mehr das Stigma des Geflohenen mit sich tragen wollen. Ehrlich gemeinter Austausch Schlüssel zum Erfolg ist, der damit anfängt, dem anderen (im wörtlichen und übertragenen Sinn) die Hand zu geben und auf Augenhöhe über Sprachbarrieren hinweg zu kommunizieren.

Was für Qualifikationen brauche ich?
All diese Punkte warfen die Frage auf, wer kann / soll / darf Musikprojekte mit geflohenen Menschen veranstalten und organisieren? Was für Voraussetzungen und Qualifikationen nötig seien. Zwei zentrale Antworten wurden auf diese Antwort gegeben: a) man sollte immer in Abstimmung einer erfahrenen und verantwortlichen Institution kooperieren (zum Beispiel dem Wohnheim) und b) gerade wenn man als solches keine Ausbildung oder Erfahrung im Umgang mit traumatisierten Menschen hat, sollte man wissen, wann und wo man sich Hilfe holen muss. Das heißt, jede/r Projektausführende muss selbstkritisch genug sein, um zu wissen, wann die eigene Expertise aufhört und ein Fachmann zu Rate zu ziehen ist. Dabei ist der Schutz traumatisierter Menschen und der eigene Schutz vor nicht bewältigbaren Situationen gleichwertig. So sollte sich jede/r ProjektleiterIn mit einem “Handwerkskoffer” mit Telefonnummern der Krisendienste und Kontaktpersonen der Institutionen beinhaltet und man sollte sich vorher mit erfahrenen Leuten vernetzen und sich Unterstützung des jeweiligen Hauses holen. Auch sollte man nie alleine in eine Institution gehen.

Hierzu bot Doris Kohlenberger weitere Informationen in Bezug auf psychische Erkrankungen und deren Symptomatik sowie eine Liste wichtiger Telefonnummern und Links.

Abschlussrunde / Feedback:

Der Diskussion folgte eine kurze Abschlussrunde, in der jede/r TeilnehmerIn ein kurzes Feedback zu dem Workshop geben konnte. Insgesamt war die Resonanz positiv und voller Dank für die offene Diskussion auch wenn zwei Teilnehmer das Gefühl hatten, nicht wirklich mit konkretem Handwerkszeug, das sie sich erhofft hatten, nach Hause zu gehen.

Die Community Music Salons sind eine Veranstaltung des Kulturreferat München

kult400

mit Unterstützung des Bezirk Oberbayern

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com-mu-ni-ty mu-sic

[internationaler Fachbegriff für musikalische Aktivitäten, bei denen der kreative und soziale Prozess gleichrangig sind. Gemeinschaftliches Musizieren schafft Raum für ästhetischen Ausdruck und inklusive Praxis. Zivilgesellschaftliches Engagement wird gefördert und Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammengebracht.]

Was sind Community Music Salons?

Die Community Music Salons sollen ein Forum zum Austausch, Fortbildung und Vernetzung von MusikerInnen, MusikpädagogInnen, SozialpädagogInnen, OrganisatorInnen und weiteren Interessierten im Feld Community Music in München sein. Die einzelnen Termine sollen eine Mischung aus Peer Learning, Fortbildung und informellem Austausch sein – in einem Umfeld geprägt von Vertrauen, Respekt und Verständnis. Musikalische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Hintergrund

Community Music wurzelt in der britischen Community Arts Bewegung. Diese entstand in den 1960er Jahren und verfolgt seither das Ziel, gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit durch Kultur herzustellen.

Seit Oktober 2013 hat die Münchner Community Music Aktionsforschungsgruppe den Begriff und seine Inhalte in einem wissenschaftlich begleiteten Prozess bearbeitet und entwickelt. Die Arbeit der Gruppe mündete im November 2015 in eine dreitägige internationale Tagung, die von der Hochschule München in Kooperation mit dem Münchner Kulturreferat, den Münchner Philharmonikern und dem Bezirk Oberbayern veranstaltet wurde. Auf dieser Tagung wurde durch eine Arbeitsgruppe von Münchner Akteuren aus dem Musikbereich großer Bedarf für Fortbildung und Entwicklung des Feldes Community Music artikuliert.

Die Community Music Salons sollen dazu einen Beitrag leisten.